Jotzo, D.; Kohlhaas, H.; Büren, M.: Gute Praxis flexibilisierter Hilfen zur Erziehung und die Kombination mit anderen Hilfen

Der Wunsch nach flexibilisierten Hilfen erfordert viele kreative Ideen und grundlegende Haltungs- und Organisationsveränderungen. Die Vernetzung von HzE mit vorhandenen Angeboten der Schulen, der Jugendförderung, Gesundheit und Familienbildung stellt eine weitere Herausforderung für die Hilfeplanung dar.

Mit der Flexibilisierung erzieherischer Hilfen ist ein jugendhilfepolitischer Ansatz gemeint, der auf die individuellen Lebensentwürfe bezogen, passgenaue Hilfearrangements anbieten will.

Die “versäulte” und ausdifferenzierte Angebotslandschaft der Hilfen zur Erziehung (HzE) steht oftmals der Individualisierung und Besonderheit des Einzelfalls entgegen.

Der Fachtag „Gute Praxis flexibilisierter Hilfen zur Erziehung und die Kombination mit anderen Hilfen“ wurde am 30.05.2012 im Rahmen der Konkretisierung des Konzepts der Sozialraumorientierung und des Fach- und Finanzcontrollings Hilfen zur Erziehung im Sozialpädagogischen Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg (sfbb) durchgeführt. Im Sinne des in Berlin praktizierten sozialräumlichen Arbeitsansatzes war auch der einzelfallübergreifende Blick auf das Umfeld der Einzelfallhilfen zu schärfen.

Am Fachtag wurden positive Beispiele flexibler Hilfen vorgestellt sowie die Entwicklung und Finanzierung exemplarischer Projekte sichtbar gemacht. Die Vorstellung der praktischen Beispiele erfolgte gemeinsam durch die beteiligten öffentlichen und freien Träger und gewährleistete damit den Perspektivwechsel bei der Realisierung der Projekte.

Die Best-Practice-Beispiele vermitteln den in den Hilfen zur Erziehung tätigen Fachkräften neue Ideen und Impulse und zeigen auf, was aktuell in Berlin an flexibilisierten Hilfen – trotz mancher möglichen Hemmnisse – bereits möglich ist und praktiziert wird.

Die Präsentation guter Praxis flexibler und kombinierter sowie allgemeiner Hilfen hat hoffentlich  eine dynamische und strategische Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung in Berlin angestoßen.

Die Dokumentation der Fachtagung ist als pdf  unter folgendem Link zu finden:

http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-jugend/jugendhilfeleistungen/hilfen_zur_erziehung/fachtagung_flex.pdf?start&ts=1349767653&file=fachtagung_flex.pdf


Vielfalt – Positive Erkenntnisse – Entwicklungspotenziale – Ein Fazit

Der Fachtag ist auf ein rundum positives Feedback gestoßen. Er hat beeindruckend gezeigt, was für eine vielfältige und innovative Projektlandschaft in vielen Bezirken entstanden ist, die von vielen engagierten und innovativen Menschen – Fachkräften und Ehrenamtlichen – geprägt ist. Zu den Ergebnissen des Fachtages gehört die erfreuliche Erkenntnis, dass es in Berlin durchaus eine gute Praxis flexibilisierter Hilfen zwischen Hilfen zur Erziehung (HzE) nach dem VIII. Sozialgesetzbuch in Kombination mit anderen Hilfen sowie weiteren Unterstützungsangeboten im Vorfeld oder begleitend zu HzE gibt.

Die gelungenen Projekte für flexibilisierte Hilfen und für HzE in Kombination mit anderen Systemen reichen von verschiedenen kooperativen Projekten im Bereich Schule und Jugendhilfe, über Familien aktivierende Hilfen (Projekte, die bspw. stationär mit gesamten Familien arbeiten während die Verantwortung bei den Eltern verbleibt) bis zur Verknüpfung von Regelangeboten und regionalen Kriseninterventionsprojekten.

Zu den Gelingensfaktoren gehören u. a. das Engagement vieler Kolleginnen und Kollegen und ein „langer Atem“, was wiederholt betont wurde. Gezielter Informationsfluss und kontinuierlicher Austausch, Kreativwerkstätten und Workshops sind Voraussetzungen für eine gelingende Kooperation aller Akteure aus den unterschiedlichen Bereichen der öffentlichen und freien Jugendhilfe, der Schulen, verschiedener Fachdienste, wie EFB-en, KJPD-en und KJGD-en. Projekte können zudem nur gelingen, wenn die operative Sozialarbeit und Sozialpädagogik von den Entscheidungsebenen, den Leiterinnen und Leitern getragen und unterstützt wird und ein gemeinsames aktives Interesse an hoher Kooperationsqualität besteht. Die Aufgeschlossenheit der Wirtschaftlichen Jugendhilfe gegenüber den Finanzierungsmodellen von flexiblen Hilfen ist ein weiterer wichtiger Baustein zum Gelingen der Projekte.

Die Rahmenbedingungen des BRVJug, ausgeführt in den Rahmenleistungsbeschreibungen, bieten viele Gestaltungsmöglichkeiten. Gleichermaßen können regionale Bedarfe auch ohne Trägerverträge zwischen Jugendämtern und Trägern entwickelt und in Form von Einzelverträgen verhandelt werden. Die Kombinationen von unterschiedlichen Formen und Finanzierungen gilt es passgenau aufzubauen und stetig anzupassen, ebenso eine Einbeziehung und Verknüpfung von verschiedenen Anspruchs- und Rechtsgrundlagen.

Um im Interesse der Leistungsempfängerinnen und -empfänger notwendige flexible und passgenaue Hilfen geschmeidiger realisieren zu können, ist es allerdings auch erforderlich, noch einige Hemmnisse aus dem Weg zu räumen:

Einer fachlich nicht sinnvollen Versäulung von HzE-Leistungen und Hilfen im Vorfeld von HzE ist entgegenzuwirken. Die Kombination verschiedener Hilfearten (ambulant, teilstationär, stationär) einschließlich Nebenkosten und kompensatorischer Hilfen in einem Hilfeplanprozess sollte ohne verwaltungsmäßigen Mehraufwand möglich sein.

Hinderlich ist immer noch die Kostenleistungsrechung (KLR), die es nach wie vor erforderlich macht, Hilfen in Schubladen zu stecken. Das Finanzierungssystem über die KLR und die Produktbudgetierung behindert die Entwicklung flexibler Hilfen und schafft falsche Anreize. So kann es vorkommen, dass „fantasiereiche Senkung von Stückkosten in einzelnen Produkten“ den Vorrang vor der Bewilligung von passgenauen und wirksamen Hilfen erhält.

Das Zuweisungsmodell für HzE muss überarbeitet werden. Gut steuernde Jugendämter haben im finanziellen Sinn langfristig das Nachsehen, Anreize zur positiven und konstruktiven Steuerung sind notwendig, die sich für Jugendämter auszahlen und mehr Handlungs- und Entwicklungsspielräume eröffnen.

Es besteht keine gesicherte Finanzierung von präventiven und Familien fördernden Leistungen im Vorfeld von HzE (insbesondere § 16 SGB VIII).

Prävention zahlt sich aus, wird aber nicht bezahlt. Hier muss ein Umdenken erfolgen.

Die Hilfen zur Erziehung bewegen sich oft an der Schnittstelle zu den Systemen „Gesundheit“, „Soziales“ und „Schule“, deren Bemühen es ist, sich gegenseitig voneinander abzugrenzen. Kooperative Finanzierungsmodelle und  Rahmenbedingungen zwischen den einzelnen Systemen als Verantwortungsgemeinschaft fehlen nach wie vor. Es bedarf der Entwicklung von Rahmenbedingungen, die die Übernahme der jeweiligen fachlich-inhaltlichen Verantwortung mit der entsprechenden finanziellen Beteiligung der Systeme ermöglichen und festlegen. Es sollten mehr Anstrengungen in die Entwicklung und Umsetzung auch von kooperativen Finanzierungsmodellen investiert werden.

Personalmangel in den Jugendämtern führt oft zu schnellen aber nicht wirksamen Lösungen bei der Bewilligung von Hilfen. Die kritische Hinterfragung der Personalausstattung in den Jugendämtern ist nach wie vor geboten. Das  vorliegende Modell zur Personalausstattung der sozialräumlich arbeitenden Jugendämter an Hand der Aufgabenstellungen und Bevölkerungsdaten sollte endlich konsensfähig werden.

Wie ist die Flexibilisierung am besten zu erreichen, damit für alle Beteiligten eine Win-Win-Situation entstehen kann?

Es wäre zeitgemäß, endlich zu erkennen, dass sich hinter HzE mehr verbirgt als die Suche nach einer passenden Einrichtung oder einer herkömmlichen Hilfeart für ein Kind oder einen Jugendlichen in einer schwierigen Situation. Die bestehende Praxis der Leistungsgewährung des Jugendamtes müsste in Kooperation mit den Freien Trägern und anderen Akteuren im Rahmen einer kreativen Angebotsgestaltung über sich hinauswachsen. Konzeptionelle Engführungen und einrichtungs- und maßnahmeorientiertes Denken sowie eine maßnahmeorientierte Fallbetrachtung sollten überwunden werden zugunsten eines kreativen Denkprozesses, der die Umfeldbeziehungen und sozialen Einbindungen der betroffenen Personen in die Hilfeplanung einbezieht. 

Es wäre zeitgemäß, dass in den Regelangeboten, wie Kindertagesstätten, Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen die gemeinsame Verantwortung zur Gestaltung einer nachhaltig positiv wirkenden Umwelt für Kinder und Jugendliche erkannt wird und Hilfen zur Erziehung intelligent eingebunden werden. Vor, nach und neben HzE könnten geeignete Bedingungen hergestellt werden, die die Nachhaltigkeit der Hilfeziele befördern.