Beeck, K.: Das Patenschaftsangebot für Kinder psychisch erkrankter Eltern

„Hast Du Zeit für mich?“, fragt ein kleiner Junge mit großen Augen. Vielleicht ist Ihnen dieses Plakat in den vergangenen Wochen in einem Berliner U-Bahnhof aufgefallen. Mit ihm haben wir erneut berlinweit Ehrenamtliche für unser Patenschaftsangebot für Kinder mit psychisch erkrankten Eltern/teilen gesucht. Damit Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, betroffene Familien auf das Angebot aufmerksam machen und empfehlen können, möchte ich es Ihnen näher vorstellen.

 

Ausgangslage

Eltern/teile, für deren Kinder wir Paten suchen, sind aufgrund einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung nicht in der Lage, ihren Kindern die notwendige emotionale Stabilität zu geben. Ihre psychischen Erkrankungen verlaufen schubweise. In Akutphase fällt es ihnen schwer, die Bedürfnisse ihrer Kinder wahrzunehmen und angemessen auf sie einzugehen. Oft sind ihre Kinder deswegen bereits zeitweise fremduntergebracht worden. Eltern, die sich bei uns melden, möchten trotz ihrer psychischen Erkrankung sorgende Eltern sein und Verantwortung für die familiäre Situation übernehmen. Sie suchen eine Vertrauensperson für ihr Kind, die sie langfristig bei der Versorgung ihres Kindes ergänzt und entlastet.

In der Zeit, in der wir die Patenschaft einrichten, müssen die Eltern grundsätzlich in der Lage sein, ihre Kinder allein zu versorgen. Aufgrund ihrer bisherigen Krankheitsgeschichte ist jedoch mit Phasen zu rechnen, in denen sie aufgrund ihrer Erkrankung erneut für die Versorgung ihrer Kinder ausfallen werden und sich in klinische Behandlung begeben sollten. Ihre Kinder müssten dann mangels gesunder Bezugsperson in fremden Pflegefamilien oder in Heimen untergebracht werden.

 

Unsere Lösung: Patenschaften

Seit 2005 bauen wir ein Patenschaftsangebot in Berlin auf. Wir vermitteln diesen Kindern emotional stabile, kontinuierliche Bezugspersonen, so genannte Patinnen und Paten. Diese gehen eine enge, auf Dauer angelegte Bindung zu ihrem Patenkind ein. Sie sind sein stabiler Bezugspunkt, wobei der Lebensmittelpunkt des Kindes bei seinen Eltern bleibt.

 

Aufgaben von Paten

Patinnen und Paten betreuen ihre Patenkinder einmal in der Woche und an einem Wochenende im Monat bei sich zu Hause oder unternehmen etwas mit ihnen. Darüber hinaus stehen sie ihren Patenkindern als Ansprechpartner und Rollenvorbild zur Verfügung und geben ihnen ein Zuhause auf Zeit, wenn ihre Eltern krankheitsbedingt ausfallen.

 

Nutzen der Patenschaften für die Familien

Auf diese Weise erleben Kinder eine emotional stabile Bindung zu einer konstanten Bezugsperson. Dies ist ihr höchster Schutzfaktor für eine gesunde emotionale Entwicklung. Abrupte Beziehungsabbrüche werden bei den Kindern vermieden. Bei den erkrankten Eltern können vorhandene Erziehungskompetenzen genutzt und sehr flexibel auf ihren aktuellen Unterstützungsbedarf reagiert werden. Hinzu kommt, dass sich in Krisenzeiten die erkrankte Eltern schneller in psychiatrische Behandlung begeben, weil sie ihre Kinder gut versorgt wissen und keine Angst haben, vom Kind dauerhaft getrennt zu werden.

 

Aufgaben der Fachkräfte des Trägers

Patinnen und Paten engagieren sich ehrenamtlich. Dennoch gibt es Aufgaben im Patenschaftsangebot, die von hauptamtlichen Fachkräften übernommen werden müssen. Dazu zählen beispielsweise:

  • Information von Eltern und Fachkräften vor allem aus Psychiatrie und Jugendhilfe
  • Anwerbung, Auswahl und Qualifikation von ehrenamtlichen Paten (Medienarbeit, Informationsveranstaltungen, Schulung, Einzelgespräche etc.)
  • Vermittlung und Begleitung der Patenschaften
  • Krisenintervention
  • Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit
  • Weiterentwicklung und Etablierung des Angebots
  • Fundraising (vgl. Finanzierung)

 

Ehrenamtliche Paten benötigen fachlichen Rückhalt

Patinnen und Paten betonen, dass sie die Patenschaft ohne Rückhalt durch die Begleitung durch uns nicht übernommen hätten. Patinnen und Paten brauchen Fachkräfte an der Seite, die sie bei Schwierigkeiten in den Patenschaften beraten und entlasten, bei Konflikten zwischen den Paten und den Eltern moderieren und ggf. auch Schritte zur Sicherung des Kindeswohls einleiten.

 

Aufnahmevoraussetzungen für Familien

Derzeit nehmen wir nur in Berlin wohnende Familien ins Angebot auf, die folgende Voraussetzungen erfüllen:

  • Mindestens ein Elternteil ist psychisch erkrankt und es handelt sich bei der Erkrankung des Elternteils nicht um eine primäre Suchtproblematik, eine geistige Behinderung oder eine psychisch schwerwiegende Belastung. Dementsprechend sind mit „psychischen Erkrankungen“ in diesem Projekt vor allem psychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenie und affektive Erkrankungen (bipolare Störung, schizo-affektive Psychosen, Depressionen) gemeint sowie schwerwiegende Persönlichkeitsstörungen wie eine Borderline-Persönlichkeitsstörung. Eine entsprechende Diagnose muss vorhanden sein.
  • Der psychisch erkrankte Elternteil ist zumindest zeitweise in der Lage, seine Elternrolle allein ausreichend wahrzunehmen.
  • Er ist bereit, über seine Erkrankung zu sprechen und erlaubt dies auch seinem Kind.
  • Der erkrankte Elternteil lässt Unterstützung für sich und sein Kind zu und befürwortet eine Patenschaft für sein Kind. Damit übernimmt er Verantwortung für die familiäre Situation und wirkt einer Rollenumkehrung in seiner Familie entgegen.
  • Das Kind ist minderjährig, nicht geistig krank oder bereits schwerwiegend psychisch gestört.
  • Es wohnt beim erkrankten Elternteil und ist nicht dauerhaft fremduntergebracht.
  • Dem Kind steht keine kontinuierliche Vertrauens- und Bezugsperson vor Ort zur Verfügung, bei der das Kind im Notfall auch unterkommen kann.

Aufgrund der letzten Voraussetzung sind es fast immer allein erziehende Mütter, für deren Kinder wir Paten suchen.

 

Erfolge von Patenschaften – zwei Beispiele aus unserer Arbeit

Jede Patenschaft ist einmalig und hat ihre Besonderheiten. Wir möchten Ihnen einen kleinen Einblick in das Leben von Leonie, Ben und Björn geben, die über uns Paten vermittelt bekommen haben und deren Patenschaften wir seitdem begleiten.

Leonie lebt seit ihrem vierten Lebensjahr allein mit ihrer Mutter zusammen, die schubweise unter Manien und Depressionen leidet. Bevor Leonie vor vier Jahren eine Patin über uns vermittelt bekam, hat sie oft tagelang das ängstigende Verhalten ihrer Mutter ausgehalten, bis sie vom Jugendamt in unterschiedlichen Pflegefamilie und Heimen gegen den Willen ihrer Mutter untergebracht werden konnte. Als Leonie zu uns kam, war sie bereits selbst in psychiatrischer Behandlung.

Bei ihrer Patin hat Leonie erlebt, dass jemand auf ihre Bedürfnisse eingeht, bei Konflikten auf sie zugeht und sich bei ihr entschuldigt. Als ihre Mutter zweimal erneut manisch wurde, konnte sie mit unserer Unterstützung sofort bei ihrer Patin untergebracht werden – sogar mit Einverständnis der Mutter, zu der die Patin ein gutes Verhältnis aufgebaut hatte. Die mittlerweile 11jährige kann sich wieder auf Erwachsene einlassen und ihnen vertrauen. Sie nässt nicht mehr ein und hat ein besseres Sozialverhalten entwickelt, so dass sie auch von ihren Klassenkameraden integriert wird.

 

Dass Patenschaften bereits in kurzer Zeit erste Erfolge zeigen können, verdeutlicht folgendes Beispiel:
Zu Beginn ihrer Patenschaft hatte Patenfamilie Schulzke keine ruhige Minute. Ihre beiden Patenkinder Ben, sieben Jahre, und Björn, neun Jahre, tobten noch nachts um halb eins durch ihre Wohnung und hielten sich an keine Regeln. Ihre schubweise an schweren Depressionen leidende Mutter konnte ihnen krankheitsbedingt keine Grenzen setzen und sich ausreichend mit ihnen beschäftigen. Nach nur fünf Monaten Patenschaft haben die Brüder durch die Geduld und zugewandte Art des Patenpaars gelernt, sich an Grenzen zu halten. Sichtlich gerührt schilderte uns das Patenpaar, wie sich die ehemaligen Rabauken langsam öffnen. Nun haben sie ihren Paten sogar die für unsere Patenkinder typische Frage direkt gestellt: „Und ihr geht wirklich nicht?“

 

Stärken des Patenschaftsangebots im Überblick

  • Effektiver Kinderschutz für eine Hochrisikogruppe
    Kinder psychisch erkrankter Eltern können sich mit Hilfe von emotional verlässlichen, kontinuierlichen Bezugspersonen gesund entwickeln.
  • Präventiver, nachhaltiger und lösungsorientierter Ansatz
    Es wird vermieden, dass die Kinder zur nächsten Generation psychisch erkrankter Eltern werden.
  • Erhalt von Familien bei gleichzeitigem Kinderschutz
    Durch Patenschaften werden Familien erhalten und gleichzeitig die Kinder geschützt. Allerdings haben Patenschaften Grenzen. Bei Bedarf setzen wir uns für eine dauerhafte Fremdunterbringung des Kindes ein.
  • Entlastung von allein erziehenden, psychisch erkrankten Eltern
    Durch die Patenschaft werden die allein erziehenden, psychisch schubweise erkrankenden Mütter entlastet.
    Diese Entlastung kann sich positiv auf die psychische Erkrankung auswirken.
  • Bürgerschaftliches und generationsübergreifendes Engagement
    Paten engagieren sich langfristig ehrenamtlich, und sind zwischen 35 und 70 Jahre alt.
  • Innovatives und zukunftsorientiertes Angebot
    Der Bedarf von Wahlverwandtschaften für Kinder psychisch erkrankter Eltern wird steigen, da die Anzahl allein erziehender, psychisch erkrankter Eltern zunimmt und somit die Belastung der Kinder steigt.

Patenschaften ergänzen andere Angebote für Kinder psychisch erkrankter Eltern des Trägers

Das Angebot ergänzt unsere anderen ambulanten Angebote, die wir seit 2003 auf die Bedürfnisse von Familien mit psychisch erkrankten Eltern spezialisiert haben, und berlinweit anbieten:

  • Sozialpädagogische Familienhilfe (gem. § 29 SGB VIII)
  • Familientherapie (§ 27 III SGB VIII)
  • Gruppen speziell für Kinder psychisch erkrankter Eltern
  • Betreuter Umgang (gem. § 18 III SGB VIII)

 

Zur Finanzierung des Angebots

Theoretisch war und ist eine Finanzierung unseres Patenschaftsangebots über die Berliner Jugendhilfe möglich. Es könnte beispielsweise als neue, flexible Hilfe zur Erziehung gem. § 27 II SGB VIII eingeführt werden und die bisherigen Hilfen zur Erziehung ergänzen. Ein entsprechendes Gutachten wurde erstellt. Doch die vorhandenen Gelder reichten und reichen nicht einmal für bereits etablierte Hilfen aus. Der Berliner Senat und die Jugendämter der Berliner Bezirke befürworten das Patenschaftsangebot und vermitteln uns auch Familien. Eine finanzielle Unterstützung unserer Arbeit erfolgt bislang jedoch nicht und wird wahrscheinlich in absehbarer Zeit höchstens im Einzelfall erfolgen.

Sollten wir mangels Finanzierung das Patenschaftsangebot einstellen müssen, würden nicht nur keine neuen Patenschaften geschlossen, sondern bestehende Patenschaften wie die vorgestellten in ihrer Existenz gefährdet werden.

 

Zeitlich begrenzte Finanzierung durch Stiftungsgelder und vereinzelte Spenden

Bislang wurde unser Patenschaftsangebot vor allem von Stiftungen projektbezogen und folglich immer zeitlich begrenzt finanziert. Namhafte Stiftungen wie Aktion Mensch e.V., die Hermann Reemtsma Stiftung und die Auerbach-Stiftung haben auf diese Weise bis dieses Jahr in unser Angebot investiert. Ergänzt wurden diese Finanzierungen von einzelnen Spenden von kleineren Stiftungen und Privatpersonen sowie einem (eher symbolischen) Teilnehmerbetrag der teilnehmenden Eltern.

 

Keine verlässliche Finanzierung für ein Angebot, das Verlässlichkeit vermitteln will

Eine zeitlich befristete Finanzierung verhindert jedoch eine kontinuierliche Vermittlung von Patenschaften und eine verlässliche Begleitung vermittelter Patenschaften. Durch das permanente Einwerben von Geldern werden außerdem personelle und finanzielle Ressourcen gebunden, die wir für die inhaltliche Arbeit besser nutzen könnten. Um diesen inhaltlichen Widerspruch zu lösen, haben wir die „Kampagne für Verlässlichkeit” ins Leben gerufen.

 

Werden Sie Verlässlichkeitsgeber

Im Rahmen dieser Kampagne suchen wir Spender und Sponsoren, die unser Patenschaftsangebot dauerhaft mit einem konstanten Betrag jährlich unterstützen. Die regelmäßigen und planbaren Zahlungen geben dem Patenschaftsangebot Verlässlichkeit, die es an alle Beteiligten weiter geben kann. Darüber hinaus bilden Verlässlichkeitsgeber für unser Patenschaftsangebot und Kinder psychisch erkrankter Eltern eine Lobby.

Diese ist unbezahlbar! Weitere Informationen unter www.verlässlichkeitsgeber.de

 

Auszeichnungen unseres Angebots

2010 Ausgewählter Ort 2010 im Innovationswettbewerb „365 Ort im Land der Ideen”Aspirin Sozialpreis 2010 (2. Platz) der Bayer Care Foundation: „Hilfe die wirkt!“
2009 Ehrenamtspreis 2009 (1. Platz) des Bezirkes Charlottenburg-Wilmersdorf für die Patin Regina Rüdiger
2008 Zukunftspreis 2008 (1. Platz) „Zukunft der Kinder” des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung
2007 Projekt des Monats von Aktion Mensch e.V.

 

Informationsveranstaltungen für Fachkräfte

Regelmäßig bieten wir Informationsveranstaltungen für Fachkräfte an, die mit psychisch erkrankten Eltern oder deren Kindern in Kontakt kommen. Dort informieren wir Sie näher über unser Konzept und die notwendigen Schritten für Familien, einen Paten zu bekommen. Darüber hinaus beantwortet ein Pate Fragen zu seiner Patenschaft.

Die Veranstaltung ist mit zwei Punkten von der Berliner Psychotherapeutenkammer zertifiziert worden. Infoveranstaltungen finden in unregelmäßigen Abständen statt. Ein Anmeldeformular und weitere Termine finden Sie auf unsere Website.

Kontakt / Anmeldung:
AMSOC e.V., (Ambulante Sozialpädagogik Charlottenburg e.V.)
Bereich „Patenschaften für Kinder psychisch erkrankter Eltern“
Kaiserdamm 21, 14057 Berlin
Tel.: 030/ 33 77 26-82   Sprechzeiten Mo 15:30-18:00, Do 10:30-13:00 Uhr
Fax: 030/ 33 77 26-90
www.amsoc-patenschaften.de