anonym: Ich hatte kein Vertrauen mehr… Eine “Triangel-Mutter” berichtet ihre Geschichte

Vor meiner Zeit in der Triangel hatte ich ca. zwei Jahre lang eine Familienhilfe, von mir selbst beantragt, um meine Familie zu retten, da die Situation zu Hause damals immer unerträglicher wurde. Nach fast einem Jahr schaffte ich es mit Hilfe des Jugendamtes und dem Gericht, meinen gewalttätigen Lebensgefährten aus der Wohnung zu kriegen. In dieser Zeit stand ich vor dem Problem, kaum mehr Möbel zu haben. um meinen Kindern ein adäquates Zuhause bieten zu können. Es dauerte lange, bis der erste Unterhaltsvorschuss für die Kinder kam und das Jobcenter den richtigen Satz für uns fand. Also fing ich an. Sperrmüll zu besorgen und selber Möbel zu bauen. Und ich begann zu renovieren.

… mir wuchs alles über den Kopf

Mental befand ich mich jedoch am Boden. Durch die Beziehung mit meinen Exmann war ich immer kleiner und unsicherer geworden, war nicht mehr ich selbst und fühlte mich teilweise völlig durch den Wind – mir wuchs alles über den Kopf. Und ich verlor meine Kinder aus den Augen, die Belastung war einfach zu groß, zumal ich damals völlig alleine war. Mein Mann hatte nicht so auf soziale Kontakte gestanden, so dass im Laufe der Jahre niemand von den alten Freundschaften übrig war. Meine Eltern sind schon älter und krank.

Nach einem anonymen Anruf beim Jugendamt, indem man mich als alkoholabhängig und als Messi dargestellt hatte, stand das Jugendamt vor meiner Tür. Sie sahen meine verwahrloste Wohnung und meinten, ich sollte sofort in einer Klinik entziehen und dann zu einer Langzeittherapie. So wurde ich vom Jugendamt nun als „erziehungsunfähig” eingestuft. Nach einem Jahr könnte ich dann, wenn alles gut liefe, mit den Kindern in die Triangel ziehen.

Das Jugendamt machte mir Angst…

Meine Kinder wurden mir bis zur Gerichtsverhandlung für sieben lange Wochen weggenommen. Dies war der schlimmste Tag in meinem Leben. Ich hatte Angst, meine Kinder für immer zu verlieren. Ich fühlte mich ungerecht behandelt, als Rabenmutter abgestempelt – eine Versagerin. Das Jugendamt machte mir von da an nur noch Angst. Ich hatte kein Vertrauen mehr und einen unendlichen Hass gegen diese Menschen. In meiner Verzweiflung wollte ich mich einweisen lassen, um den Beweis zu erbringen, keine Alkoholikerin zu sein. Die Klinik lehnte mich ab. Bei meinem Hausarzt ließ ich im Labor meine Leberwerte testen. Diese waren absolut zu meinen Gunsten. In der Verhandlung beim Familiengericht fiel damit eine Therapie vom Tisch und der sofortige Einzug in die Triangel zusammen mit meinen Kindern wurde möglich. Als Ziel setzte das Jugendamt fest, Struktur im Alltag zu kriegen, ein soziales Netzwerk zu schaffen und für eine kindgerechte Wohnung zu sorgen.

In der Triangel ‑ eine „große Familie”

Ein positiver Nebeneffekt der Triangel ist, dass diese sich im Besitz eines Alkoholtesters befindet, so dass ich in den ersten Wochen Gelegenheit hatte, meine „Unschuld” zu unterstreichen. Dies war zunächst mein einziges Ziel. Ich hatte anfangs Angst vor der Triangel und war auch hier misstrauisch. Ich dachte, dort sind nur Denunzianten mit erhobenem Zeigefinger.

Dies ändert sich jedoch recht schnell, als ich das erste Mal ins Elternsprechzimmer der Triangel kam, in dem Einzelgespräche und die täglichen Morgen- und Abendrunden stattfinden. Im Elternzimmer entdeckte ich die Zielplakate von anderen Eltern mit ihren verordneten Aufträgen vom Jugendamt, aber auch eigenen Zielen, die sie erreichen wollten. Fast auf jedem Plakat war das erste Ziel (Entschuldigung liebes Jugendamt): „Das Jugendamt loswerden“. Das gefiel mir! Auch die anfängliche Skepsis mit so unterschiedlichen Charakteren, Nationalitäten und so vielen schrecklich unartigen und nervigen Kindern zusammenzuleben war recht unbegründet. Wir wurden für einige Monate eine große Familie.

Unsere Gesprächsrunden waren immer sehr offen und sehr emotional. Auch die Rollenspiele, anfangs bei allen verhasst, waren überzeugend effektiv. Oft saßen wir mit Tränen in den Augen in der Runde, wenn einer Mutter oder einem Vater schmerzlich ein Licht aufging. Es wurde jedoch auch viel gelacht, das war wichtig, denn die Gespräche sind harte Arbeit.

Es war gut, dass wir Eltern unser Tempo selbst bestimmen konnten, die MitarbeiterInnen halfen nur dann weiter, wenn es nicht mehr weiterging. Sie gaben aber nie etwas vor, nur einen kleinen Wink mit dem Zaunpfahl. Lösungen musste jeder für sich selbst finden. Wir Eltern fühlten uns für den jeweils anderen verantwortlich und wollten ihm helfen, den eigenen Weg zu schaffen. Toll war die Vereinbarung zwischen uns Eltern, sich Rückmeldungen zu geben, wenn jemand wieder in alte Verhaltensmuster zurückfiel. Dies war eine freiwillige Angelegenheit. Man konnte diesen Auftrag auch den MitarbeiterInnen erteilen, es ist aber leichter, von Eltern Kritik anzunehmen. Man sitzt schließlich im gleichen Boot. Zwar mit Problemen, die nicht unterschiedlicher sein können. Aber wir hatten alle ein gemeinsames Ziel: „die Kinder zu behalten“ und das verband uns.

Mein Blick ging wieder auf die Kinder

Irgendwann öffnete sich etwas in meinem Kopf und es machte „Klick“. In einem Rollenspiel merkte ich, wie weit ich mich in Wirklichkeit schon von meinen Kindern entfernt hatte. Diese Erkenntnis tat mir in der Seele weh. Noch am selben Abend setzte ich meine Prioritäten anders. Mein Blick ging wieder auf die Kinder und auf das, was sie brauchen. Ihre „Macken“ verschwanden quasi über Nacht. Sie waren wohl ein Hilferuf nach Aufmerksamkeit.

Ich fuhr weiter auf dieser Schiene und fragte mich irgendwann, warum die für mich zuständige Sozialarbeiterin vom Jugendamt diese Meinung von mir hat, dass ich eine Alkoholikerin bin, die nichts auf die Reihe kriegt. Beim Erstellen meines zweiten Zielplakats kam der Aha-Effekt: „Weil ich so wirke.“

Z.B. in der Schule. Da hatte ich ein schlimmes Erlebnis. Mein Sohn M. hatte in der Zeit der Heimunterbringung eine neue Klassenlehrerin. Als die Kinder wieder bei mir waren, wollte mich bei ihr vorstellen und Bescheid geben, dass ich wieder die Fürsorge habe. Die Dame redete mit mir, als sei ich dumm und unfähig, von oben herab. Mehr oder weniger mitten im Gespräch ließ sie mich wie einen Depp stehen und ging. Ich fragte mich: „Was erzählen die Lehrer über mich? Etwa, dass ich Alkoholikerin bin?“ Ich war gekränkt und verunsichert. Wochen vergingen – nie wieder wollte ich mit dieser Person etwas zu tun haben.

Doch dann wurde mir klar: Würde ich nicht den ersten Schritt machen und trotz allem auf die Lehrerin zugehen, wäre ich ja vielleicht wirklich das, was alle glauben. Also schrieb ich ihr einen netten Brief mit der Bitte, einen Neuanfang zu wagen – schließlich ging es um meinen Sohn! Und nicht um meine gekränkte Eitelkeit. Sie schrieb zurück voller Lob für meine Courage. Seitdem bin ich mit allen LehrerInnen meiner Kinder in regem Kontakt. Auch die Schulleitung ist sehr erfreut über mein Arrangement. Was sie auch meiner Jugendamtsmitarbeiterin mitteilte, als diese einmal unverhofft in der Schule nachfragte. Das ging „runter wie Öl“. Es zeigte mir: Ich bin auf dem richtigen Weg.

Versöhnung mit dem Amt

Nun wollte ich es wissen und verlängerte zweimal freiwillig den Triangel-Aufenthalt, ich wollte bei der Entlassung für jede Situation gerüstet sein. Auch im Umgang mit meinem Ex gab es Intrigen und es war schwierig, in Dialogen mit ihm die Oberhand zu gewinnen, mich nicht fertig machen zu lassen. Durch gezielte Rollenspiele gelang mir langsam aber stetig, mich ihm gegenüber durchzusetzen und mich mit ihm in Bezug auf die Kinder zu einigen.

Zum Schluss kam die lang ersehnte Anerkennung vom Jugendamt. Beim Abschlussgespräch bei mir zu Hause brachte die Frau vom Jugendamt einen selbstgebackenen Kuchen mit, bei der Verabschiedung umarmten wir uns mit einem Lächeln. Mittlerweile habe ich eine toll eingerichtete Wohnung, stehe mitten im Leben, habe neue Freunde, ein funktionierendes Netzwerk und seit sechs Monaten einen Halbtagsjob, der mich erfüllt. Ich bin stolz und glücklich, für alle kompetent genug zu sein und ohne die Bedenken anderer das alleinige Sorgerecht für meine vier „Prinzen“ zu haben. Alles ist möglich, wenn man nur will und ich sage nochmal: „Danke, Triangel, für Deine helfende Hand“.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von „Forum für Kinder- und Jugendarbeit“, Hamburg