Wenn wir Erlebnispädagoginnen und -pädagogen mit Jugendlichen eine Kanutour unternehmen, mit Teams auf einer Wiese am Seminarhaus herausfordernde Teamaufgaben angehen oder mit Führungskräften eine 24-h-Tour mit Outdoorübernachtung durchführen, geht es letztendlich nicht um das Erlernen einer Paddeltechnik, des Kochens am Feuer oder um das Üben von Orientierung im unbekannten Gelände. Die Ziele der Erlebnispädagogik liegen immer im Bereich der sozialen Kompetenzen, der Persönlichkeitsentwicklung, der Teambildung und der Teamentwicklung. Das erlebnispädagogische Setting ist ein gestalteter exemplarischer Lernraum, in dem intensive Erfahrungen gemacht und Erkenntnisse gewonnen werden, die übertragbar sind auf den Lebens-, Schul- oder Berufsalltag der Teilnehmenden. Um nun in diesem Lernraum tatsächlich unsere pädagogischen Ziele verfolgen zu können und es nicht bei einem schönen und intensiven Erlebnis zu belassen, helfen einige methodische Grundprinzipien. Sie sind sozusagen die Leitplanken erlebnispädagogischen Handelns.
Herausforderung
Ein Grundprinzip in der Erlebnispädagogik ist die Herausforderung. Eine Voraussetzung dafür ist ein gewisser Ernstcharakter der Aktion, es muss tatsächlich “um etwas gehen”. Ein Beispiel ist das gemeinsame Kochen am offenen Feuer, für das die Zutaten selbst abgestimmt und eingekauft wurden. Das ist herausfordernd, es ist für die Gruppe eine neue Situation, es ist durchaus ernst und gleichzeitig auch motivierend. Die Teilnehmenden müssen im Team agieren, sich abstimmen, Probleme lösen, u.U. auch Konflikte bewältigen. Das gemeinsame Kochen einer Gruppe am Feuer kann für manche schon eine Grenzerfahrung sein.
Wenn wir in der Erlebnispädagogik von Grenzerfahrungen sprechen, sind keine Survivalsituationen gemeint, etwa komplette physische Erschöpfung oder gar das Überstehen von Ekelprüfungen á la Dschungelcamp. Bereits das Verlassen der so genannten Komfortzone und damit der bereits bekannten, sich komfortabel und sicher anfühlenden Situationen ist die Überschreitung einer Grenze. Im erlebnispädagogischen Lernraum befinden sich die Teilnehmenden in der Lernzone, die auch Risikozone genannt wird. Hier geht es um das Erfinden und Ausprobieren neuer Handlungsoptionen für sich selbst und gemeinsam in der Gruppe, was oftmals mit Spannung, Risikoempfinden und Aufregung verbunden ist. Nur in der Lernzone kann persönliches Wachstum stattfinden, indem die neuen Erfahrungen integriert werden und sich letztlich damit die Komfortzone erweitert. Ein Schritt in die so genannte Panikzone hingegen ist kontraproduktiv. Wenn die Situation, vor der die Teilnehmenden stehen, überfordernd, zu komplex und bedrohlich wird, dann findet kein Lernen und kein Wachstum mehr statt. Der Fluchtinstinkt, Handlungsunfähigkeit und aufkommende Panik dominieren statt dessen. Diese Grenze zu überschreiten ist pädagogisch fragwürdig. Deshalb kommt der Wahl des passenden Herausforderungsgrades essentielle Bedeutung zu: so herausfordernd wie möglich, aber mit wahrscheinlichem Erfolgserlebnis und ohne Überforderung. Das kann für jede Teilnehmerin und jeden Teilnehmer unterschiedlich sein, also braucht es auch Wahlmöglichkeiten innerhalb der Aufgaben. Es versteht sich damit fast von selbst, dass in erlebnispädagogischen Settings nicht mit Zwang gearbeitet werden kann, letztlich ist die Teilnahme freiwillig. Dies darf jedoch nicht in Beliebigkeit umschlagen. Nicht alle müssen im Hochseilgarten in der Höhe unterwegs sein, gerade das Sichern im Team vom Boden aus ist eine verantwortungsvolle Aufgabe und dient der gesamten Gruppe. In dieser Form gibt es immer andere mögliche Funktionen und Rollen, so dass jede und jeder einen passenden Platz in der Aktion findet.
Selbststeuerung / Eigenverantwortung
Ein weiteres grundlegendes Prinzip in der Erlebnispädagogik nennt sich Gruppenselbststeuerung oder auch Gruppeneigenverantwortung. Wenn gewünscht ist, dass ein Team für sich passende Lösungen erfindet, in ihrer Gruppendynamik ein gutes Stück voran kommt und die Teammitglieder im Sinne von Kurt Hahn erleben, dass sie mehr vermögen, als sie selbst bislang glauben – dann muss der Gruppe auch maximal mögliche Verantwortung in diesem Lernprozess übertragen werden. Der Erlebnispädagoge gestaltet einen Rahmen, in dem die Gruppe dann eigenverantwortlich agiert. So ist beispielsweise eine Kanutour erst dann eine erlebnispädagogische Tour, wenn die Gruppe selbst ihren Essensplan abstimmt, mit ihrem Budget den Einkauf organisiert, für die Navigation auf dem Wasser verantwortlich ist und abends am Übernachtungsplatz die Essenzubereitung selbst in die Hand nimmt. Natürlich soll die Gruppe dabei nicht überfordert werden und u.U. muss vorher das Feuermachen oder die Navigation mit Karte und Kompass geübt werden. Kontraproduktiv wäre es jedoch, wenn der Pädagoge an dieser Stelle die Gruppe führt, die Aufgaben bei der Essenzubereitung verteilt, vielleicht selbst das Kochen übernimmt und damit die Teilnehmenden fremdbestimmt agieren. Passendes erlebnis-pädagogisches Handeln wäre an dieser Stelle eher die Moderation einer Planungsrunde der Gruppe oder – falls nötig – eine Konfliktmoderation, aus der heraus die Gruppe wieder eigenverantwortlich aktiv wird. Dies macht auch deutlich, dass erlebnispädagogisches Arbeiten immer prozess-orientiert geschieht. Der Erlebnispädagoge beeinflusst natürlich den Gruppenprozess, er kann ihn allerdings nicht im direkten Sinne steuern, sondern wird sein pädagogisches Handeln immer wieder anpassen und neu ausrichten. Er arbeitet “mit dem, was ist”.
Wechselspiel Aktion / Reflexion
Um nun tatsächlich eine Wirkung im Alltag der Teilnehmenden zu erzielen, reichen üblicherweise eindrückliche Erlebnisse nicht aus. Aus dem Erlebnis soll eine Erfahrung werden, auf die als Einzelne und auch als Gruppe bewusst zurückgegriffen werden kann und die auch in der Schule, in der Wohngruppe oder im Betrieb Veränderungen bewirkt. Um das zu erreichen, muss das Erlebte regelmäßig reflektiert werden. In der Reflexion wird das Erlebnis in der Gruppe bewusst gemacht, beschrieben, bewertet und es werden Schlussfolgerungen gezogen und Verabredungen für das weitere Vorgehen getroffen. Spätestens gegen Ende eines erlebnispädagogischen Programms steht in den Reflexionen die Frage, in welcher Form die Erfahrungen und die Verabredungen für den Alltag der Teilnehmenden relevant sind und wie sie gesichert werden können. Je konkreter dieser Transfer gelingt, umso nachhaltiger wird die erlebnispädagogische Unternehmung wirken. Die Erlebnispädagogin / der Erlebnispädagoge moderiert die Reflexionsrunden, die häufig in einem Kreisgespräch stattfinden. Auch hier wird die Gruppe in hoher Eigenverantwortung selbst ihre Verabredungen treffen, unterstützt durch passende Fragen und zielorientierte Moderation. Das Wechselspiel von Aktion und Reflexion ist demnach als weiteres methodisches Grundprinzip festzuhalten. Natürlich können auch kreative Methoden, angeleitete Solozeiten und spielerische Formen die Reflexionsprozesse unterstützen. Wenn es gelingt, bereits im erlebnispädagogischen Programm die passenden Metaphern der Alltagswelt der Teilnehmenden einzubauen und sich in der Gestaltung der Struktur der Herausforderungen an den Lebenswelten der Teilnehmenden zu orientieren, dann kann die Übertragung der Erfahrungen auf den Alltag noch leichter und nachhaltiger sein.
Menschen sind anders, wenn sie in der Natur sind. Nach Henry David Thoreau ist die Natur die große Lehrmeisterin und auch wir Erlebnispädagogen machen häufig die Erfahrung, dass die Natur wie eine zusätzliche Co-Pädagogin wertvolle Impulse setzt. Sei es ein überraschendes Gewitter oder starker Gegenwind, eine intensive Naturerscheinung, Tierbeobachtungen oder einfach die Wirkung von frischer Luft, Vogelgezwitscher und dem gemeinsamen Feuer – die Teilnehmenden erleben sich als Teil eines großen Ganzen und gleichzeitig als selbstwirksam und kraftvoll. In der Natur sind nachhaltigere und intensivere Lernerfahrungen möglich als beispielsweise in einem Seminarraum und durch den Kontrast zum Alltag sind diese Erfahrungen auch stärker im Gedächtnis verankert. Natürlich können auch auf einer Wiese, einem Parkplatz oder auch inmitten der Großstadt passende Lernsettings kreiert werden, doch weit überwiegend wird Erlebnispädagogik in der Natur stattfinden. Nicht zuletzt ist das in Anbetracht derzeitiger gesellschaftlicher und globaler Herausforderungen auch ein Beitrag zu einem stärkeren Verständnis unserer Zugehörigkeit zu und Abhängigkeit von unseren natürlichen Lebensgrundlagen.
Sicherheit
Ein zentrales Grundprinzip erlebnispädagogischer Unternehmungen ist weiterhin die Sicherheit. Wir bewegen uns in einem Feld, in dem Risiken nicht restlos auszuschließen sind. Die Teilnehmenden sollen sich sogar in einem gewissen Maße subjektiv herausgefordert und damit “im Risiko” fühlen. Gleichzeitig ist es pädagogische Grundverantwortung, die objektiven Risiken so weit zu minimieren, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer physisch und psychisch unbeeinträchtigt aus dem erlebnispädagogischen Programm gehen. In diesem Sinn setzt eine echte Gefährdung der Sicherheit sämtliche anderen Prinzipien außer Kraft. Ein gutes Beispiel ist hier die Begehung eines Hochseilgartens mit einer Sicherung durch das gesamte Team. Die in der Höhe auf einer Seilstation balancierende Teilnehmerin fühlt subjektiv, dass sie ein hohes Risiko eingeht und sich überwinden muss. Die Gruppe sichert sie vom Boden aus eigenverantwortlich mit einem redundanten System – das heißt, dass es für jedes Element in der Sicherungskette ein zweites gibt, das zum Tragen kommt, falls eines versagt. Der Trainer, der die Gruppe technisch eingewiesen und bezüglich der Ziele und möglicher Lernerfahrungen methodisch hingeführt hat, beobachtet jede Handlung der Gruppe und der kletternden Teilnehmerin und greift ein, sobald sich eine Lücke im Sicherungssystem andeutet oder die Kletternde in eine echte Überforderungssituation gerät.
Diese Auswahl an methodischen Grundprinzipien macht deutlich, dass es in der Erlebnispädagogik um mehr geht, als um gemeinsamen Spaß in der Natur. Anhand der Grundprinzipien lassen sich erlebnis-pädagogische Unternehmungen gut abgrenzen z.B. gegen Spielangebote (wie etwa ein Spielenachmittag draußen), Natursportarten (wie eine einfach geführte Kanutour) oder Survival-angebote (in denen das Erlernen von Überlebenstechniken im Vordergrund steht). Fundiertes erlebnispädagogisches Arbeiten setzt fundierte Ausbildung voraus, es ist im pädagogischen Sinn mehr als Outdoor, mehr als Natursport und mehr als Spielen im Freien.
Literatur:
Bernd Heckmair, Werner Michl: Erleben und Lernen, Verlag Ernst Reinhardt, 5. Auflage März 2004
Mart Rutkowski: Der Blick in den See, ZIEL-Verlag, 1. Aufl. Oktober 2010
Christoph Sonntag: Abenteuer Spiel, ZIEL-Verlag, 2. Aufl. April 2005
Tom Senninger: Abenteuer leiten, Ökotopia-Verlag, 5. Aufl. September 2004
Rüdiger Gilsdorf, Günther Kistner: Kooperative Abenteuerspiele 1, Verlag Kallmeyer 1995
Rüdiger Gilsdorf, Günther Kistner: Kooperative Abenteuerspiele 2, Verlag Kallmeyer 2000
Stephen Bacon, Cornelia Schödlbauer: Die Macht der Metaphern, ZIEL-Verlag, 2. Aufl. April 2003
Pit Rohwedder: Outdoor Leadership, ZIEL-Verlag, 2008
Autorenangabe: Jens Thomas, Dipl. Sozialpädagoge (FH), Erlebnispädagoge (Outward Bound), Systemischer Supervisor und Coach (SG), seit 10 Jahren Outdoortrainings, Fortbildungen, erlebnispädagogische Kurse, Beratung und Supervision
thomas@luxundthomas.de, www.luxundthomas.de