Richter, C.: Chance – Ambulante Maßnahmen für straffällig gewordene Jugendliche und Heranwachsende

Vortrag anlässlich der Tagung:

„Dazwischen“ – Junge Menschen an der Schnittstelle Jugendhilfe und Grundsicherung für Arbeitssuchende

Die Einrichtung „Chance“ arbeitet seit über 20 Jahren mit straffällig gewordenen Jugendlichen und Heranwachsenden aus dem Regionalverband Saarbrücken. Nach jugendrichterlichem Urteil erfahren die Klienten im Rahmen pädagogisch begleiteter Arbeitsanweisungen und Betreuungsweisungen Begleitung und Unterstützung. Die Rechtsgrundlagen finden sich im Jugendgerichtsgesetz und im SGB VIII.

Die Ambulanten Maßnahmen nach dem JGG verstehen sich sozusagen als der sozialpädagogische „Flügel“ im Jugendstrafverfahren.

Ich freue mich sehr, hier sprechen zu können. In unserer alltäglichen Arbeit sitzen wir mit unseren Jugendlichen sehr häufig und in der Tat genau dazwischen.

Ich wurde gebeten, heute ein Fallbeispiel vorzustellen, welches ich auf einer Tagung der DVJJ im Dezember 2009 schon einmal zur Diskussion gestellt habe.

Nach einem persönlichen Austausch mit dem Organisator dieser Veranstaltung, Herrn Reiner Horn und der gewissenhaften Lektüre des Tagungsflyers, habe ich mich dazu entschlossen, einen Fall etwas abstrakter, sozusagen in drei unterschiedlichen Erscheinungsformen aber nicht weniger treffend darzustellen.

In besagtem Flyer ist die Personengruppe, über die wir heute reden wollen anhand weniger Begriffe charakterisiert. Spannend dabei ist, dass keine soziologischen, pädagogischen oder sozialarbeiterischen Kategorien verwendet wurden.

Die „deskriptive Existenz“ dieser Personengruppe zeigt sich vorwiegend in der Summe der Formen des Scheiterns an und in den herkömmlichen Systemen sozialstaatlicher Lebenshilfe oder Lebensbegleitung und Versorgung.

Es entsteht ein Fall oder eine Zielgruppe, die mit jeder weiteren Begrifflichkeit ihre menschlichen Züge und alle Facetten der menschlichen Persönlichkeit verliert.

Wir kommen zur ersten Erscheinungsform:

Unser ent-persönlichter Fall bzw. die ent-persönlichte Zielgruppe

Die Beschreibung liest sich in der Amtssprache der öffentlichen Jugendhilfe oder der ARGE in etwa so:

  • junge Menschen
  • die über herkömmliche Instrumente des SGB II nicht erreichbar sind;
  • aus Bedarfsgemeinschaften mit weniger günstigem Einfluss entstammen
  • die bei Verstoß gegen die Eingliederungsvereinbarung
  • gesetzlich verpflichtend sanktioniert werden müssten.
  • Darüber hinaus hat dieser Personenkreis häufig bereits langjährige Jugendhilfeerfahrung. Sie haben diverse Jugendhilfeangebote durchlaufen bis die Jugendhilfe letztendlich,
  • aus Gründen des Lebensalters und der sog. mangelnden Mitwirkung, keine Unterstützungsmöglichkeiten mehr sieht.

Nun soll diskutiert werden, welche niedrigschwelligsten Angebote wir brauchen; und wie wir deren Niedrigschwelligkeit zu bestimmen haben. (Warum fragen wir eigentlich danach, wie niedrig die Schwellen sind. Man könnte ja auch nach der Länge der Beine der Betroffenen fragen. Dann müssten wir aber die Systemlogik verlassen.)

Wenn wir nun aus dem Bereich des Jugendstrafrechts noch einige Begriffe oder Kategorien hinzunehmen, dann ergänzen wir die „Liste des Versagens“:

(Aus sprachlichen Gründen muss ich hier von der Personengruppe zum Einzelfall wechseln.)

Auch hier brauchen wir nur einen, im weitesten Sinne sozialwissenschaftlichen Terminus, um die Beschreibung zu eröffnen:

  • Der Jugendliche oder Heranwachsende,
  • der bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten ist,
  • hat sich einer bestimmten Tat schuldig gemacht,
  • indem er einem anderen widerrechtlich und mit der Absicht sich zu bereichern eine bewegliche Sache weggenommen hat… usw. usw..
  • Aufgrund seiner „Schädlichen Neigungen“ wird er zu einer Jugendstrafe von 9 Monaten verurteilt die für 2 Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird.
  • Ihm wird aufgegeben, den Einbestellungen eines Bewährungshelfers Folge zu leisten, der ihm zugeteilt wird.
  • Ihm wird aufgegeben in der Einrichtung Chance 100 Stunden unentgeltliche Arbeit zu leisten.
  • Er hat sich für 9 Monate der Betreuung und Aufsicht von Herrn Sowieso zu unterstellen, dessen Einbestellungen er Folge zu leisten hat.
  • Kommt er einer oder mehrerer dieser Bewährungsauflagen nicht nach, droht der Bewährungswiderruf.
  • Ferner kann bei Nichtbefolgen der Arbeits- und Betreuungsweisung jeweils ein Beugearrest von bis zu 4 Wochen verhängt werden.

Durch diese Aneinanderreihung von mehr oder minder aufschlussreichen Begrifflichkeiten haben wir eine recht vernünftig oder sachlich klingende, man will fast sagen, sterile Definition vorgenommen. Doch wozu taugt sie?

  1. Wir haben es geschafft eine Zielgruppe oder den Einzelfall anhand der tatsächlichen oder vermeintlichen Scheiternserfahrungen und den daraus erfolgten Etikettierungsprozessen zu beschreiben.
  2. Wir können feststellen, dass die jeweils systemimmanenten Logiken sehr gut geeignet sind, um die hinter den Einzelschicksalen stehenden Persönlichkeiten auszublenden.

Die Menschen werden durch ihr Scheitern oder Versagen (oder Verzagen) in und an den Systemen sozialstaatlicher Versorgung gemessen.

 

Es stellen sich Fragen:

  • An was wird der Erfolg der entsprechenden Systeme gemessen?
  • Wer fragt danach, was diese Leute eigentlich wollen?

Passen die Angebote auf die Menschen oder müssen die Menschen auf die Angebote angepasst werden?

Ein nicht geringer Anteil der jungen Menschen, die durch die unterschiedlichen Hilfesysteme sozusagen hindurch rutschen, bleiben in den ambulanten Maßnahmen für straffällig gewordene und gefährdete Jugendliche und Heranwachsende hängen. Nicht zuletzt daher, dass es zwischen sozialer Randständigkeit, Armut und Delinquenzbelastung direkte Verweisungszusammenhänge gibt.

Z.B.: nicht zur Schule gehen, viel Zeit auf der Straße verbringen, keine Orientierung oder Perspektive haben, Frust wegen mangelnder Teilhabe aufbauen, kein Geld, keine Arbeit oder positiv bewertete Beschäftigung zu haben, und trotzdem Statussymbole nötiger zu brauchen als alle anderen um doch irgendwie dazuzugehören etc. etc.

 

Erscheinungsform 2: Der Idealtypische Durchschnittsfall

Ich möchte nun versuchen, anhand unserer Daten aus den vergangenen drei Jahren einen „Idealtypischen“ gemeinsamen Fall aus der Schnittmenge SGB VIII, SGB II und JGG zu kreieren. Hierbei werde ich von allen erhobenen Parametern die Höchstwerte zu einem „typischen“ gemeinsamen Klienten zusammenfügen. Ich erhebe hierbei nicht den Anspruch, wissenschaftlich sauber und methodisch korrekt eine Typologie zu erstellen. Es geht mir vielmehr darum, jene marginalisierenden Faktoren zusammenzutragen, die den „Schnittmengen-Klienten“ ausmachen.

Der Durchschnittsklient:

  • ist 17,5 Jahre alt oder älter, fast immer Deutscher und fast immer männlichen Geschlechts (42 % Heranwachsende, untypischerweise liegt der Anteil Jugendlicher mit Migrationshintergrund bei nur noch ca. 15%).
  • wohnt bei einem Elternteil oder alleine mit oder (eher) ohne Partnerin (30% / 40%)
  • gehört zu den ca. 70% der Nichtschüler in unserer Einrichtung, von welchen nur knapp ein Drittel über einen HSA verfügen.
  • ist mit ca. 50 %iger Wahrscheinlichkeit, gemessen an den Gesamtzuweisungen, seit längerer Zeit gänzlich ohne Beschäftigung (ca. 70 Personen/Jahr).
  • ist mit knapp 60 %iger Wahrscheinlichkeit 2- und mehrfach registrierter Straftäter.
  • gehört mit 67 %iger Wahrscheinlichkeit zu jenen Teilnehmern, die bereits umfangreiche Erfahrungen mit dem sozialen Hilfesystem gemacht haben, ohne dabei eine befriedigende Lebenssituation erreicht haben zu können. Zurück bleibt meist ein starkes Misstrauen gegenüber den Behörden und der Welt der Erwachsenen allgemein.
  • ist, wenn er eine Sie ist, vermutlich seit der U-25 Regelung deutlich höher gefährdet oder dazu bereit, früher als evtl. geplant schwanger zu werden und eine Familie und damit eine Bedarfsgemeinschaft zu gründen (vgl. „Kleine Erfolge“; Studie des Berlininstituts für Bevölkerung und Entwicklung; für die Landkreise Neunkirchen, Kusel und den Regionalverband Saarbrücken entspricht der Anteil der Teenie-Schwangerschaften dem, der strukturschwächsten Gebiete in den neuen Bundesländern).
  • hat massive Probleme mit Schlüsselkompetenzen wie z.B. Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Team- und Kritikfähigkeit (zeigt sich anhand der stark verlängerten Verweildauer und dem starken Anstieg des Schriftverkehrs pro Fall).
  • weitere Risikofaktoren sind: überdurchschnittlich hohe Suchtbelastung und Toxikomanie, Verschuldung, geringe Frustrationstolerenz und damit korrespondierend hohes Aggressionspotential, Verwahrlosungstendenzen in allen Spielarten, psychische Auffälligkeiten, Bildungs- bzw. Ausbildungsfähigkeit stark begrenzt, tatsächliche Ausbildungsreife ist i.d.R. nicht gegeben.

(Vergleichbare Befunde lieferte eine Untersuchung der Kolleginnen der Einrichtungen TAT & RAT / Neustart in Neunkirchen. Der Landkreis bzw. die Stadt Neunkirchen dürfte strukturell vergleichbare Problemkonstellationen aufweisen wie wir sie aus dem Regionalverband kennen.

Veröffentlicht in der Dokumentation des interdisziplinären Hearings „U-25-jährige ohne Leistungsbezug im SGB II“ des Unterausschuss Jugend und Arbeit, vom 27.1.2009)

Wenn wir diese sozialstrukturellen Daten daraufhin untersuchen, wie sie sich im Lebensalltag eines Jugendlichen oder Heranwachsenden auswirken, eröffnet sich uns erstmals der Blick auf den Menschen und dessen tatsächliche Lebensbedingungen.

Das ist der Blick oder besser die professionelle Perspektive, welche die Soziale Arbeit und die Sozialadministration zwingend einzunehmen hat, um geeignete Unterstützungsinstrumente und Konzepte entwickeln zu können.

Der Frage „Wer sind die denn eigentlich und was können wir für sie tun“ kommen wir nur auf diesem Wege etwas näher.

Kommen wir also nun zu unserer dritten, lebensnahen Fallbetrachtung,

 

zu Kevin:

Kevin steht kurz vor seinem 18. Geburtstag.

Er wohnt wieder bei seiner Mutter, nachdem er seit seinem 12. Lebensjahr ganz unterschiedliche Jugendhilfemaßnahmen durchlaufen hatte. Zwischendurch durfte er immer wieder zu Mama zurück, bis diese erneut nicht mehr mit ihm fertig wurde und eine neue pädagogische Instanz mit neuen Menschen auf Kevin einwirken wollte. Papa hatte schon früh die Familie verlassen.

Leider wurde er immer wieder aus den Einrichtungen entfernt, da er dort aufgrund seiner Verhaltensauffälligkeiten nicht mehr tragbar war. Auf Jugendamt, Erzieher, Sozialarbeiter und andere Erwachsene die ihn Zeit Lebens im Stich gelassen haben, hatte und hat er keinen Bock mehr.

Es ist kein Wunder, dass Kevin auf die ständig wechselnden Bezugssysteme reagierte. Er entwickelte schulische Probleme und wurde folglich auch hier durchgereicht bis er das Bildungssystem ohne Schulabschluss verlassen musste.

Dass er so keinen Ausbildungsplatz bekommen konnte, war ihm irgendwie klar. Sein großes Ziel war der Hauptschulabschluss und danach eine Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker oder am besten Auswandern nach Kanada.

Da er immer wieder sehr viel Zeit auf der Straße verbrachte und sich mit Seinesgleichen traf, wurde er schon relativ früh straffällig. Nach einer Reihe unterschiedlicher Delikte und den entsprechenden Sanktionsmaßnahmen wurde er nach der letzten Sache zu einer Jugendstrafe verurteilt, die man zur Bewährung aussetzte. Dazu gab es, wie oben dargestellt, ein ganzes Bündel von Auflagen.

Kevins Mutter kann nicht mehr. Sie kann es nicht mit ansehen, dass ihr Sohn den ganzen Tag vor’m Fernseher abhängt, sich nachts rumtreibt, säuft und sich mit Haschisch wegballert. Sie schmeißt ihn raus. Zum 5. oder 6. Mal.

Jetzt sitzt Kevin bei der Chance und erzählt, dass er nachts mal hier, mal da bei Kumpels schläft. Er soll 3-mal pro Woche Arbeitsstunden machen und donnerstags vier Stunden an der Betreuungsgruppe teilnehmen.

Das Jugendamt hat ihm gesagt, dass eine weitere Jugendhilfemaßnahme nicht mehr in Frage kommt, da er schon so viele Maßnahmen erfolglos abgebrochen hat und seine Mitwirkungsbereitschaft zu wünschen übrig lässt. Die letzte Maßnahme hatte er nur nicht bekommen, weil er die entsprechenden Auflagen nicht erfüllt hatte.

Wäre er regelmäßig zur Schule gegangen, zum AAT, zur Drogenberatung und hätte er fristgerecht die letzten 150 Arbeitsstunden abgeleistet, hätte man über einen letzten Versuch im Betreuten Wohnen reden können.

Jetzt hat er eine Bescheinigung zur Vorlage bei der Arge erhalten. (Das System Jugenhilfe hat ihm schriftlich bescheinigt, dass er ein hoffnungsloser Fall ist. Oder hat die Jugendhilfe kapituliert?)

Eine Frau bei der Arge hat gesagt, dass er am kommenden Montag ein Sofortangebot anzunehmen hat. Tut er dies nicht, gibt’s auch keine Unterstützung sondern Sanktionen. Auf die Frage, wie er das tun solle, wo er doch heute nicht weiß wo er morgen schläft, bekommt er ein Schulterzucken zur Antwort.

Egal, denkt sich Kevin. Er versteht sowieso schon lange nicht mehr, was um ihn herum passiert.

Im Gespräch bei uns erzählt er nur von der „Alten, die doof gemacht hat“.

Da er dann seinerseits auch „doof gemacht“ hat, ist er schnell wieder draußen, aus dem Amt. Auf die Frage, was er danach gemacht hat, antwortet Kevin:

„Da hab ich mir erst mal einen geraucht“.

Kevin weiß ganz genau, dass er den Anforderungen die gerade jetzt an ihn gerichtet werden nicht gerecht werden kann. Dazu kommt, dass er die formalen Anforderungen, die ja nun einmal die Grundlage alles Weiteren sind, nicht versteht.

Ob er sich zu allem Überfluss jetzt noch weitere Sanktionen einfängt, ist ihm gleichgültig. Lediglich sein Bild vom sozialen Hilfesystem und der Welt der Erwachsenen wird erneut bestätigt. Für Leute wie ihn gibt es hier in diesem System keinen Platz.

Fazit:

Wir reden hier und heute von sehr jungen Menschen, deren Lebensgeschichte sie binnen sehr kurzer Zeit ganz ans Ende der sozialen Skala bebracht hat.

Ihr Vertrauen in die allermeisten Menschen und Institutionen, denen sie begegnet sind, ist nachhaltig gestört.

Ihre Biografie gleicht einer Liste des Versagens, des Vertröstens und zurückgewiesen Werdens, der Ausgrenzung.

Die Mehrfachbelastung durch marginalisierende Faktoren bedarf keiner Beweisführung. Dieser muss Rechnung getragen werden.

Der Gegenstand Sozialer Arbeit ist der am oder im Sozialen überforderte Mensch. Die Überforderung durch sozial vermittelte Standards von Normalität und Rechtschaffenheit macht diese Menschen zu unseren Klienten. Wenn diese Standards bestimmte Gruppen kategorisch ausschließen bzw. mit deren Lebenswirklichkeit nicht mehr übereinstimmen, dann ist es die Pflicht der Sozialen Arbeit, hier als Mittler zwischen den auseinanderstrebenden Welten einzutreten. Das Wort „intervenieren“ heißt nicht anders.

Die Ordnungskiterien nach denen das gesamte soziale System strukturiert ist und funktioniert, entspringen durchweg bürgerlichen und mittelständischen Begründungszusammenhängen (Fördern und Fordern / Mitwirkungspflicht / Sanktion / Erwerbsarbeit führt zu einem unabhängigen u. zufriedenen Leben).

Es scheint, als habe man die Sozialwissenschaften hier nicht herangezogen, um die Funktionsweisen des Systems den Bedürfnissen und Fähigkeiten ihrer Adressaten anzupassen. Die Deutungsmuster, aufgrund derer die o.g. Begründungszusammenhänge überhaupt erst greifen, sind in den Millieus unserer Klienten oft schon seit Jahrzehnten nicht mehr vorhanden. Sie sind abgelöst durch Funktionsmechanismen von BSHG und SGB II, da diese in ihren Lebenszusammenhängen die zentrale, existenzsichernde Rolle spielen.

Nachhaltige pädagogische Arbeit bedarf zuallererst der dauerhaften, langfristigen und geduldigen Zusammenarbeit von Helfer und Klient. Existenzielle Bedrohungen haben in diesem pädagogischen Bezug keinen Platz.

Auch ganz reale Argumente wie Kostendruck und leere Kassen dürfen nicht dazu führen, dass Kriterien der Rationalität und Wirtschaftlichkeit über pädagogische Notwendigkeiten hinweg täuschen (Bsp. Die scheinbare Altersbegrenzung der Volljährigkeit im SGB VIII).

Trotz aller Benachteiligungen und Bildungsferne haben diese Jugendlichen ein sehr feines Gespür dafür, wer es ehrlich mit ihnen meint oder wer ihnen etwas in Aussicht stellt, dass es so für sie gar nicht gibt.

  • Eine wirkliche Chance am 1. Arbeitsmarkt haben diese Jugendlichen nicht.
  • Ob sie sie erhalten, wenn sie nacheinander unterschiedliche Qualifizierungsmaßnahmen durchlaufen, ist eher ungewiss.
  • Der Arbeitsmarkt hat für die überwiegende Mehrzahl dieser Menschen keine Verwendung mehr. Folglich spüren sie, dass sie nicht gebraucht werden.
  • Es gibt keine attraktiven Perspektiven.
  • Es gibt keine Aussicht auf auch nur halbwegs zufriedenstellende Teilhabe an der sozialen und materialen Umwelt.

Brigitte Herz beschreibt in einem Artikel im DVJJ Journal von 2005 diesen Sachverhalt unter der Frage „Wie viel Ausgenzung verträgt ein junger Mensch?“ so:

„Kinder und Jugendliche in schwierigen Lebenslagen, die als ‚Schwierige’ etikettiert werden, reagieren mit ihren ‚unzumutbaren’ Verhaltensweisen auf ‚unzumutbare’ Lebensbedingung. …………. Die (Verhaltens)-‚Störung’ ist dann eine ‚normale’ Reaktion auf ihre Lebensbedingungen. ……… Sie, die Störung, macht subjektiv insofern Sinn, als dass diese jungen Menschen noch nicht resigniert haben.“

Als Vertreter einer Einrichtung der Jugendstraffälligenhilfe, die sich sehr nahe an den Bedarfen und an der Lebenswelt der Betroffenen sieht, erhoffe ich mir von dieser Tagung neue Erkenntnisse und Impulse, die neue, an der Lebenswirklichkeit der jungen Menschen orientierte Unterstützungsmöglichkeiten und wirkliche Perspektiven eröffnen.

Lassen Sie uns gemeinsam dazu zurückkehren, die Menschen für die wir arbeiten ernst zu nehmen und nicht nur die Systeme die wir mit viel Mühe entwickelt haben.

Und lassen sie uns lieber die Länge der Beine unserer Klienten im Auge behalten als nur die Niedrigkeit der Schwellen und Stufen zu diskutieren.