Mein Name ist Birgit Schmidt. Ich arbeite seit 1985 als Erzieherin in der stationären Heimerziehung, seit 1992 im Kinderhaus Berlin – Mark Brandenburg.
Während meiner Tätigkeit war ich in verschiedenen Projekten tätig, u.a. in einer Schichtdienstgruppe, im KIC-Projekt und seit 3½ Jahren im Familienintegrativen Projekt Profil.
Am Anfang möchte ich Ihnen in Kürze einige Auszüge aus unserer Konzeption vorstellen. Dadurch wird es verständlicher erscheinen, warum gerade ich hier stehe und zum Thema „Wie begegnen wir Eltern im Rahmen von HzE?“ spreche.
Das Hauptanliegen unseres Projektes ist es, Familie zu erhalten. Unser Ziel ist immer die Rückführung der Kinder in den elterlichen Haushalt bei Stärkung der Familie als System.
Unsere Zielgruppen sind:
Familien in Krisensituationen, die zeitweise mit der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder überfordert sind, wo ambulante Hilfen aber nicht ausreichend sind
und
Alleinerziehende in Überforderungssituationen aufgrund erzieherischer aber auch Alltagsproblematiken.
Wir betreuen Kinder im Alter von 0 bis ca. 13 Jahren. Die Dauer der Unterbringung beträgt ca. 3 bis 18 Monate. Unser Projekt ist ausgestattet mit 2 Elternwohnungen, einem Eltern-Kind-Zimmer, sowie einem großen Wohnbereich mit Wohnzimmer, Küche und 4 Kinderzimmern. Nach Möglichkeit bieten wir Müttern und / oder Vätern an, zeitweilig im Projekt zu wohnen.
Diese Eltern sind temporär anwesend und haben dann einen Gaststatus. Oder aber wir nehmen nur das Kind in die Wohngruppe auf, wobei die Eltern eng in den Alltag des Projektes und ihrer Kinder einbezogen werden. In beiden Fällen bleiben die Eltern in der Alltags- und Erziehungsverantwortung für ihr Kind.
Wir nehmen die Kinder nach §34 auf, in Sonderfällen bieten wir auch Mutter-Vater-Kind-Unterbringung nach §19 an.
Was leisten wir in unserem Projekt?
Die Sicherung der Entwicklung und Förderung der Kinder bei Aufnahme im Projekt.
Kurz nach der Aufnahme wird für jede Familie eine Sozialpädagogische Familiendiagnose erstellt. Gemeinsam mit der Familie entwickeln wir ein Hilfeprogramm. Wir bieten Familienberatung und psychologische Betreuung. Wir begleiten die Familie im Alltag (das sogenannte Lernen am Modell) und reflektieren gemeinsam mit ihnen ihr Handeln. Wir unterstützen die Familie bei der Entwicklung von Perspektiven
und
Wir bieten Erziehungsberatung und Elternweiterbildung.
Unsere Arbeit umfasst sozusagen 4 Bereiche:
- Familienarbeit
Krisenintervention
Tägliche Reflektionsgespräche mit den innewohnenden Eltern bzw. Reflektionsgespräche nach Besuchen der Eltern, wo Kinder allein untergebracht sind
Wöchentliche Elterngespräche in der Einrichtung im Beisein des Bezugserziehers bzw. der Sozialpädagogin und des der Gruppe zugeordneten Psychologen
Aufsuchende Familienarbeit konkret vor Ort bei Beurlaubungen
Unterstützung der Eltern bei behördlichen Angelegenheiten - Die Betreuung der Kindergruppe
Hierbei geht es um das Schaffen einer sicheren Tagesstruktur
Und die verlässliche Betreuung durch ein Bezugssystem
Wir gestalten eine abwechslungsreiche Freizeit und gemeinsame Gruppenaktivitäten - Die Förderung des Kindes
Diese betrifft sowohl das schulische Lernen als auch das soziale Lernen in der Gruppe
Wir unterstützen die Kinder bei der Ausprägung individueller Interessen - Psychologische Beratung /Begleitung
Je nach Fall wird der Psychologe für das Kind und die Eltern mit einbezogen
Unterstützt die Familie in Krisen
Er bietet Paarberatung, bei Bedarf unterstützt er bei der Vermittlung von Therapien
Nach 3½ Jahren Arbeit im Familienintegrativen Projekt Profil kann ich sagen, dass dies eine für mich sehr wichtige neue Erfahrung war. Natürlich spielte auch in meinen vorherigen Projekten Elternarbeit eine wichtige Rolle. Aber im Focus der Tätigkeit stand hauptsächlich das Kind oder der Jugendliche. Das ist im Profil anders. Hier geht es darum, die Eltern dahin zu bringen, dass sie es wieder packen, eigenständig mit ihren Kindern zu leben.
Und das verlangt von uns Mitarbeitern eine ganz besondere Haltung gegenüber Eltern.
In unserer Arbeit ist es enorm wichtig, einen Bezug zu den Eltern aufzubauen, eine vertrauensvolle Basis zu schaffen.
In diesem Zusammenhang möchte ich kurz auf das erste Zusammentreffen von Projekt und Eltern eingehen. In der Regel kommen die Eltern nicht aus freien Stücken zu uns und wollen Hilfe. Das Jugendamt schickt sie. Oft sind sie enttäuscht, ängstlich und auch ablehnend. Deshalb sollte es uns im Erstkontakt gelingen, die Eltern für unser Projekt aufzuschließen.
Als erstes zeigen wir den Eltern, oft sind auch die Kinder dabei, unseren Wohnbereich und ggf. die Elternwohnung. Das führt meistens schon zu etwas Entspannung, denn das Projekt ist aus meiner Sicht sehr liebevoll und kindgerecht gestaltet. Die meisten Eltern sind sehr überrascht.
Danach begeben wir uns mit den Eltern, die Kinder wollen jetzt oft schon in der Gruppe bleiben und lieber spielen, in unseren kleinen Beratungsraum. Dieser hat einfach mehr Atmosphäre, als der große Beratungsraum. Dort stehen dann auch schon Tee und Kaffee und die sogenannten „Kontaktkekse“ bereit. Die Eltern sollen sich willkommen fühlen.
Wir berichten den Eltern dann über unser Leben im Projekt: Wie verläuft der Tag bei uns? Was erwarten wir von den Eltern und was können die Eltern von uns erwarten?, unsere Projektordnung usw.
Hierbei ist es ganz wichtig, dass wir den Eltern rüberbringen, dass wir sehr wohl in der Anfangsphase noch einmal ein Stück Vergangenheit recherchieren müssen und Probleme beleuchten werden. Wenn dies aber getan ist, richten wir den Blick nach vorn und verfolgen mit ihnen gemeinsam ihr Ziel, wieder mit ihren Kindern in eigener Wohnung leben zu können.
In diesem ersten Gespräch spielt die Haltung des Mitarbeiters eine immense Rolle. Die Eltern müssen das Gefühl entwickeln können, sich wertgeschätzt und angenommen zu fühlen und nicht als Versager oder schlechter Mensch dazustehen. Wir sehen uns in der Rolle des Coachs respektive als Berater und als Begleiter auf einem Stück des Weges der Eltern.
Es ist erstaunlich zu beobachten, wie sich innerhalb eines oft nicht sehr langen Erstgespräches ein erst sehr ablehnendes Elternteil öffnet und Bereitschaft zur Unterbringung signalisiert. Aber wie gesagt, dass kann nur funktionieren, wenn wir freundlich, authentisch, ehrlich und optimistisch wirken.
Wie sieht es aus, wenn dann Eltern oder auch nur ihre Kinder bei uns untergebracht sind?
In unserem Projekt gilt der Grundsatz: „Jedes Elternteil ist individuell und muss einzeln betreut werden!“ Egal ob es, und ich setze diese drei Begriffe mal in Anführungszeichen, „normale“, „begabte“ oder „behinderte“ Menschen sind, jeder hat das Recht, respektvoll und würdevoll behandelt zu werden.
Für uns ist es wichtig, genau hinzuhören, zu beobachten und zu erkennen, welche Ressourcen und Fähigkeiten die Eltern besitzen und ihre Stärken zu stärken. Wir ermöglichen ihnen, Entscheidungen selbst zu fällen und zu verantworten. Wir schenken ihnen Vertrauen. Oft muss auch das Selbstvertrauen der Eltern wiederbelebt und gestärkt werden.
Keineswegs ist es die richtige Vorgehensweise Eltern eigene Gedanken und individuelle Ansichtsweisen aufzudrängen, sondern sie selbst entscheiden und denken zu lassen.
Unsere Aufgabe ist es, den Eltern Möglichkeiten anzubieten, sie mit ihnen zu besprechen und ggf. auch in die Tat umzusetzen.
Die Eltern erleben uns nicht als Alles- oder Besserwisser sondern als Coach und Begleiter, wir sind nicht ignorant sondern aufmerksam, wir mäkeln nicht rum, sondern sind wertschätzend. Wir betrachten sie nicht von oben herab.
Wir setzen nicht nur auf unsere Unterstützung, sondern auch auf die sozialen Netzwerke der Eltern.
Wir bieten eine verlässliche, tragfähige und belastbare Beziehung, in der sie Anerkennung erfahren und Unterstützung erhalten können. Aber auch eine Beziehung, die die Möglichkeit der Auseinandersetzung und Konfrontation bietet.
Unerlässlich ist es auch, ehrlich und transparent mit den Eltern zu arbeiten. Es macht wenig Sinn, Dinge schön zu färben oder gar zu verschweigen und die Erfahrung zeigt, das Kritik zwar gelegentlich erst einmal nicht so einfach zu akzeptieren ist und zu Ärger bei den Eltern führt, in der Regel aber im Nachhinein gut angenommen werden kann und von den Eltern geschätzt wird.
Natürlich erleben wir im Alltag auch gelegentlich Rückschläge. Eltern, die schon auf einem guten Weg waren, knicken plötzlich wieder ein und wir müssen wieder einen Schritt zurück gehen oder auch einen anderen Weg suchen. Hier heißt es, den Eltern zu vermitteln: Fehler sind erlaubt und dürfen gemacht werden. Sie sind dazu da, aus ihnen zu lernen. Und wir müssen den Eltern Mut machen, es erneut zu probieren.
Mit der Erfahrung von 3½ Jahren Familienintegration kann ich sagen, Elternarbeit ist sehr intensiv, sehr anstrengend, aber sehr wertvoll und oft erfolgreich.
Aber: Elternarbeit muss man wollen. Dazu muss man eine bestimmte innere Einstellung mitbringen, sonst nützt alle Professionalität nichts. Und unsere Eltern wären die ersten, die es merken würden, wenn man ihnen was vorspielt.
Birgit Schmidt, Familienintegratives Projekt „Profil“, Kinderhaus Berlin – Mark Brandenburg e. V.